Als die Fensterbeleuchtung erfunden wurde...

Welch ein herrlicher Anblick bietet sich uns in der Adventszeit, wenn man von der Morgensonne kommt,  nach Königswalde herein fährt oder einen Abendspaziergang den Alten Marktsteig hinaus macht und sich unser Dorf vor uns ausbreitet, beleuchtet wie ein großer Weihnachtsberg. Nun aber ist Lichtmess vorbei und die Weihnachtssachen und unsere Fensterbeleuchtung müssen wieder hinauf auf den Boden.
"Fansterbratteln"
 
Schon lange beschäftigt mich die Frage, wann und wo eigentlich die Fensterbeleuchtung "erfunden" wurde. Sicher kann man es sich einfach machen und die Geschichte von dem alten Brauch erzählen, dass man früher für jedes Mädchen einen Engel, für jeden Bergmann zur Weihnachtszeit ins Fenster stellte ! Doch beim genauen hinsehen ist es scheinbar doch nicht so einfach.
Für den Bergmann hatte das Licht schon immer eine besondere, eine lebenswichtige Bedeutung. Gerade im Winter sah er wochenlang kein Tageslicht. Früh im Finstern fuhr er ins Bergwerk ein, noch finsterer war es im Schacht und nachmittags, wenn er seine Schicht beendete, war es draußen auch schon wieder dunkel. Seine viel beschriebene Sehnsucht nach dem Licht ist verständlich. Doch entstand daraus in dieser Bergbauzeit ein weihnachtlicher Brauch, Kerzen ins Fenster zu stellen?
Überhaupt war das damals, also vor 1800, ja selbst vor 100 Jahren noch, eine unheimlich finstere Zeit, als man noch kein elektrisches Licht kannte. Es ist für uns kaum vorstellbar, in welcher Finsternis die Menschen im Winterhalbjahr lebten, bei Beleuchtung der Stuben mit Kienspan, einer Kerze oder einer Ölfunzel, die etwas Licht machte.
Karl Friedrich Kautsch aus Cranzahl, gestorben 1894, berichtet aus seiner Jugend über den Heilig-Abend im Jahre 1820 in Cranzahl: Er beschreibt einen Paradiesgarten und einen Weihnachtsberg in einer schwarz verräucherten, weihnachtlich geschmückten Stube: „ ...hierzu kam noch die Erleuchtung des Tisches, auf dem nur das einzige Mal im Jahre statt eines winzigen Öllampenlichts ein Inseltlicht, in einem Drahtleuchter steckend, prangte und mit großer Freude betrachtet wurde !...“ (1)
Hier erfährt man, wie kostbar damals eine einfache Kerze, ein Inseltlicht war! Vielleicht spielt auch Johanne Amalie von Elterlein in ihrem Heilig-Obnd-Lied darauf an : „Iech hob mr ah e Lichtl kaaft für 22 Pfeng !„ 
1 Taler war damals der Wochenlohn, das sind 300 Pfennige, bei  40 Std. = 7,5 Pf./Std. = sind das 3 Stundenlöhne für eine einzige Kerze !!!
Und da waren diese aus minderwertigen tierischen Fetten hergestellten „Inseltlichter" überhaupt die einzigen Kerzen, die man sich leisten konnte, die einzige Alternative zu den unbezahlbar teuren Bienenwachskerzen. Sie wurden aus Talg hergestellt, aus dem weißen Fettgewebe zwischen den Därmen der Rinder oder Schafe. Inselt sagen wir Erzgebirger dazu.  Die hochdeutsche Bezeichnung für Talg ist „Unschlitt“. Seit dem Mittelalter benutzten dieses Fett die Bergleute als Brennstoff für ihre Froschlampen/Ölfunzel; in der Tscherpertasche hatten sie es immer dabei.   Inselt, kann man natürlich auch essen. „Das Licht isst mit“  , war ein gebräuchlicher Ausspruch ! Was man täglich zur Beleuchtung an Fett brauchte, hätte fast einen Erwachsenen ernährt !
Was sollte man also damals ins Fenster stellen. Dieses teure Inseltlicht, das doch die ganze Stube erleuchten sollte ? Auch gab es noch gar keine geschnitzten oder gedrechselten Engel und Bergleute. Bergmänner als Lichtträger tauchen als gegossene Zinnleuchter erstmals um 1750 auf, geschnitzte erst kurz vor 1800. Die gedrechselten Figuren kommen erst viel später und sind um 1820 erstmals nachweisbar. Die kamen auch nicht aus Seiffen, wie viele denken, sondern hier aus dem Annaberger Raum! In Seiffen wurde nur Spielzeug hergestellt. Erst um 1860 kommen die Räuchermänner und erst 1890 die Weihnachtsfiguren, der Bergmann und der Engel als Lichtträger von dort! Erst jetzt konnte vielleicht  wegen der niedrigen Preise der Seiffener Drechselware der Wunsch nach dem eigenen Lichterbergmann auch für die (vielen!) Kinder der Bergmanns-, Bauern- und Waldarbeiterfamilien erfüllbar werden. Inzwischen war auch das bei der Destillation der Braunkohle anfallende Paraffin als Kerzenmaterial erfunden worden. Um 1850 entstanden vielerorts Fabriken für die Kerzenherstellung, wodurch Kerzen nun auch langsam für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich werden sollten. Erst jetzt, am Ende des 19.Jahrhunderts wurden Kerzen zur echten Festbeleuchtung für das Weihnachtsfest.
1904 kam „das Licht“ auch zu uns nach Königswalde: Unser Ort erhielt 19 Petroleumlaternen als Straßenbeleuchtung! Und am 31.12.1909 brannten dann die ersten elektrische Lampen in Königswalde, ab dem 29.10.1911 die ersten elektrischen Straßenlampen.
Meine Vermutungen zu den "Vorläufern" der Fensterbeleuchtung ging auch in Richtung Schwibbogen. Wie man heute sieht, ist er ideal dafür geeignet! 1726 soll schon der erste schmiedeeiserne Schwibbogen vom Bergschmied Teller in Johanngeorgenstadt angefertigt worden sein! Doch bis um 1900 war der Schwibbogen wirklich nur in den weihnachtlichen Zechenstuben der Huthäuser in Johanngeorgenstadt zu finden. Erst ab 1922 stellten die Bergschmiede Fedor und Curt Teller in Johanngeorgenstadt eine größere Anzahl eiserner Schwibbögen her, die nun auch die Stuben einiger Bergleute eroberten. Erst die Feierohmd-Schau in Schwarzenberg 1937 machte den Schwibbogen im Erzgebirge richtig bekannt. Friedrich Emil Krauß, der Besitzer der Schwarzenberger Waschgerätewerke, war der Initiator dieser Volkskunst-Ausstellung und auf der Suche nach einem typischen Werbesymbol kam man auf den Bogenleuchter der Johanngeorgenstädter Bergleute. Für ein neues Motiv für solch einen Schwibbogen schrieb er einen Wettbewerb aus, den die Berliner Grafikerin Paula Jordan mit dem heute wohl am meist verbreiteten Motiv gewann, den Schwarzenberger Schwibbogen. Er war auf jeder Eintrittskarte !
Warum der Bergschmied die Bogenform nutzte ist unbekannt. Da in den ältesten Schwibbögen im Bogenrund Sonne, Mond und Sterne abgebildet sind, ja sogar ein Wolkenhimmel, sollte sicher der Himmelsbogen dargestellt werden. Für die oft geäußerte Annahme, der Schwibbogen sei das Abbild eines Stollenmundlochs, gibt es keine Belege. Schwibbogen mit einem "Felsenbogen" kommen erst 1908.
Sicherlich etwas überraschend ist heute die Darstellung von Adam und Eva neben bergbaulichen Motiven in den ältesten Schwibbögen von 1740, 1796 und 1810. Dazu muss man wissen, dass der 24. Dezember nach dem katholischen Kalender der Tag von Adam und Eva ist. Auch die Gestaltung von "Paradies-Gärten" zu Weihnachten hat hier ihre Wurzeln.
Das älteste Symbol der Weihnachtszeit ist unser mit  Kerzen  geschmückter Christbaum, über den schon aus der Zeit des beginnenden 17. Jahrhundert berichtet wird. Das Grün des Baumes symbolisiert das auch im Winter nicht absterbende Leben und die Kerzen die Wiederkehr des Lichtes und die Hoffnung auf die hellere Jahreszeit. Mit der Erfindung der elektrischen Lichterkette gibt Amerika dem traditionellen Weihnachtsbaum ein neues Aussehen. Bereits 1912 werden die ersten beleuchteten Bäume auf den öffentlichen Plätzen der Stadt Boston errichtet. Weihnachtsbäume im Freien finden sich bald in den großen Städten in ganz Amerika. Nach dem Ersten Weltkrieg erreicht diese Neuheit auch Europa ! 1926 wird in Annaberg auf dem Marktplatz „ein Weihnachtsbaum für alle“ vom Bürgerbund aufgestellt. Bald verbreitete sich dieser Brauch im ganzen Erzgebirge und darüber hinaus.
Doch mit den Fensterbeleuchtungen kam ich nicht weiter. Auch in den Gesprächen mit älteren Königswaldern war die einheitliche Aussage: vor 1945 hat es keine elektrische  Fensterbeleuchtung hier gegeben. Erst in den 50iger Jahren kam das auf ! Meine nächste Vermutung war Mauersberg. Mauersberg nennt sich heute "Das Lichterdorf" und man muss es neidvoll anerkennen: In keinem anderen Erzgebirgsdorf ist die Lichterpracht zur Weihnachtszeit schöner. Dabei macht es nicht die "Masse" oder gar irgendwelche Übertreibung. Nein es ist eher das einfache, unverfälschte Bild, das sich dem Besucher seit vielen Jahren bietet: einheitlich sind in Mauersberg die Fenster mit den hohen dreieckigen Spitzen, die einen beleuchteten Christbaum stilisieren, beleuchtet, bis hinauf ins letzte Giebelfenster.
Doch das war nicht immer so, berichtet der Ortschronist Karl-Heinz Melzer: "sehr alt ist auch in Mauersberg der Brauch, (nur) an den Weihnachtsfesttagen und am Heiligabend Lichter anzuzünden. Auch der Christmorgen gehörte dazu, wenn es zu den Metten ging. Dabei wurden nicht, wie sonst üblich, die Fensterläden geschlossen, sondern offen gelassen und an die Fenster brennende Kerzen gestellt. Schon der Mauersberger Kantorensohn Reinhard Rother schreibt dazu 1850: „Unvergleichlich war der Zauber, der sich in dieser Morgenstunde nach der Metten über das illuminierte Dorf ergoss!“  Auch als Mauersberg 1913 an das Elektrizitätsnetz angeschlossen wurde, änderte sich daran nichts. Nach wie vor bildeten Kerzen in den Fenstern die weihnachtliche Festbeleuchtung am Christmorgen. Als 1924 in Mauersberg der Schnitz- und Krippenverein gegründet wurde, stellten die Vereinsmitglieder einen „öffentlichen Christbaum“ mit elektrischer Beleuchtung vor Löschners Gasthaus, dem heutigen Museum, auf. Der zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit verhinderten eine weitere Ausbreitung des Lichterbrauches. Erst Anfang der fünfziger Jahre kamen findige Einwohner darauf, meist selbst gefertigte Beleuchtungen in den Fenstern anzubringen und auch die Fensterläden fielen mehr und mehr der Modernisierung zum Opfer. Von Jahr zu Jahr wuchs die Anzahl der Lichter, die in den Fenstern erstrahlten und dem Ort sein weihnachtliches Gepräge gaben. Wurde anfangs nur unmittelbar an den Festtagen zwischen Heiligabend und Hochneujahr beleuchtet, ist jetzt bereits vom ersten Advent an der ganze Ort geschmückt. „
Dieser Brauch, am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages, wo meist die Mettenspiele waren, Kerzen ins Fenster zu stellen und die Fensterläden offen zu halten, scheint damals im Erzgebirge, hier in unserer Gegend verbreitet gewesen zu sein. Ich habe das auch von anderer Stelle bestätigt bekommen. Auch in unserem Ort war es wohl so ähnlich.
Nun fand ich eine alte Ansichtskarte von Schneeberg. Festlich erleuchtet ist der ganze Marktplatz. In allen Fenstern ist deutlich "elektrische Fensterbeleuchtung" zu erkennen. Einfache elektrische Lichterreihen auf geraden Leisten! Auf der Karte steht: „Weihnachtsschau 1938/39 während der Festbeleuchtung“ und der Schreiber der Karte vermerkt: „…Schneeberg, Weihnacht 38, …zeige ich Euch ein Bild von unserer einzigartigen Illumination!“.

Diese elektrische Festbeleuchtung war zur Weihnachtsschau 1938/39 in Schneeberg erstmalig so einheitlich zu sehen, also schon vor dem Krieg! Das Schneeberger Lichtl-Fest soll darin seinen Ursprung haben.
„Die beste Werbung war die Beleuchtung der Stadt, an der sich die gesamte Einwohnerschaft beteiligte, sodaß kaum ein Haus ohne Kerzen blieb..."  (2)
Aber es waren auch die einzigen 2 Jahre der Fensterbeleuchtung. Ab 1939 war alles anders. Verdunkelung war angeordnet ! Weihnachtsmärkte fielen aus oder waren nur bis zum Nachmittag geöffnet.
Schneeberg, Festbeleuchtung zur Weihnachtsschau 1938/39
Erst nach Kriegsende wurde auch der Brauch der Fensterbeleuchtung wieder aufgegriffen. Gut kann ich mich noch erinnern, als in den 50iger Jahren in der Vorweihnachtszeit viele Familienväter zu meinem Vater in die Werkstatt kamen und sich lange dünne Leisten für die Fensterbeleuchtung machen ließen. In Königswalde waren damals nur einfache gerade Beleuchtungen üblich. Die Leisten klemmte man einfach zwischen die Doppelfenster mit etwas Pappe oder einem kleinen Keil in der Fensterlaibung fest, meist wurde eine Christbaumbeleuchtung "geteilt" und die Fassungen mit ihrer Halterung einfach an die Leisten geklemmt.
Der Platz zwischen den Doppelfenstern wurde auch gern mit Moos oder Watte abgedichtet und dann mit selbstgebastelten Häusern, Fichten, Massefiguren, Zwergen und Tieren ausgeschmückt. Auf die Leisten der Fensterbeleuchtung kam dann meist noch Watte oder diese Glitzerwatte, die es später als fertig zugeschnittene Streifen in Schachteln zu kaufen gab ! Eine schöne Tradition mit diesen "Fansterbratteln". Mit dem Wegfall der Doppelfenster sind sie fast ganz in Vergessenheit geraten.
Auch die einfachen geraden Leisten werden heute bei uns immer weniger. Der Schwibbogen und sein kleiner dreieckiger Bruder aus Schweden erobern immer mehr Fenster. Ist ja auch viel einfacher: hinstellen, anstecken, fertig. Und so ein Schwibbogen sieht ja auch wirklich schön aus und es ist wesentlich ungefährlicher, als wenn zwischen den einzelnen Leisten noch "Klingeldraht" von Fenster zu Fenster verlegt werden musste,  nur in Mauersberg ist es beim Alten geblieben.
Früher wurde auch bei uns die Fensterbeleuchtung erst am Heiligabend zum ersten Mal angezündet. Heute ist eigentlich ab dem 1. Advent überall schon alles schön beleuchtet. Nur in Neudorf gibt es noch den harten Kern derer, die erst am Heiligabend anzünden. Dafür halten sie aber auch eisern bis zur Lichtmess durch. Aber es werden jedes Jahr weniger und die Busse mit den Lichtelfahrten brauchen inzwischen auch um Neudorf keinen Umweg mehr zu machen !!!
 
Glück Auf !
Wolfgang Süß


Januar 2015

(1) siehe C.Leichsenring: "Weihnachtspyramiden des Erzgebirges"

(2) siehe M.H., "Schneeberger Weihnachtsschau 1938", Erzgebirgisches Weihnachtsbüchlein, 1963, Erzgebirgsverein e.V.

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